Hochwasserschutz durch Flutpolder

Warum braucht man Flutpolder?

Durch Baumaßnahmen in der Vergangenheit, wie die Begradigung der Donau oder das Abschneiden der Retentionsräume (Überschwemmungsflächen) durch den Bau von Hochwasserschutzanlagen, wurden die Überschwemmungsgebiete in den letzten Jahrhunderten immer mehr verringert. Somit ist auch das potentielle Rückhaltevolumen im Fall eines Hochwassers geringer geworden. Zusätzlich wurden seit dem letzten Jahrhundert vielerorts in ehemalige Überschwemmungsgebiete Wohn- und Gewerbegebiete und Infrastruktureinrichtungen gebaut.

An der Donau und auch anderen Flüssen sind in den letzten Jahren sehr große Hochwasserereignisse (z.B. Pfingsten 1999 und Juni 2013) aufgetreten, die immense Schäden verursacht haben. Um bei Hochwasser eine Entlastung der Hochwasserschutzanlagen zu erreichen, sollen ehemals natürliche Hochwasserrückhalteflächen wieder reaktiviert bzw. wiederhergestellt werden. Dabei sollen diese Flächen möglichst effektiv genutzt werden, da durch immer dichtere Besiedelung und Flächennutzung nur noch wenige Standorte vorhanden sind.

Aktionsprogramm_2020plus Bild vergrössernLogo Aktionsprogramm_2020plus

Um diese Ziele zu realisieren und den Hochwasserschutz zu verbessern, hat die Bayrische Staatsregierung das Hochwasserschutz-Aktionsprogramm 2020plus ins Leben gerufen.

Ein Schwerpunkt dieses Aktionsprogramms ist das erweiterte Rückhaltekonzept, in dem durch die Kombination aus natürlichem Rückhalt, technischem Hochwasserschutz und Hochwasservorsorge ein effektiver Schutz vor Hochwasser erreicht werden soll.

Natürlicher Rückhalt: Maßnahmen zum Rückhalt in der Fläche und zur Gewässerrenaturierung

Technischer Hochwasserschutz: Hochwasserschutzanlagen (z.B. Deiche, Mauern) sowie Maßnahmen des Rückhalts durch Talsperren, Rückhaltebecken und Flutpolder

Hochwasservorsorge: Verringerung des Hochwasserrisikos z.B. durch Flächenvorsorge, Freihalten von Überschwemmungsgebieten, Hochwasservorhersagen, Steuerung der Rückhalteräume basierend auf Vorhersagemodellen

Das Aktionsprogramm 2020plus wird seit 2021 im Aktionsprogramm GewässerPro 2030 fortgeführt. Es lehnt sich eng an die Hochwasserrisikomanagmentrichtlinie der EU an.

Die klassischen Hochwasserschutzanlagen sind in der Regel auf ein sogenanntes hundertjährliches Hochwasser (HQ100) ausgelegt, das statistisch etwa alle 100 Jahre auftritt. Dazu zählen sowohl Elemente des natürlichen Rückhalts als auch des technischen Hochwasserschutzes. Diese Maßnahmen sind bei extremem Hochwasser allerdings nicht mehr ausreichend und es kann zur Überlastung der Hochwasserschutzsysteme kommen. Das kann zum Beispiel zu Deichbrüchen führen, wie es 1999 in Neustadt und 2013 in Deggendorf-Fischerdorf bzw. Niederalteich der Fall war und schwerwiegende Schäden verursachen. Dieses Szenario, bei dem die Schutzanlagen aufgrund eines größeren Hochwasserereignisses überlastet sind, nennt man Überlastfall.

Mögliches Überschwemmungsgebiet bei Extremhochwasser Bild vergrössernMögliches Überschwemmungsgebiet bei Extremhochwasser

Kartengrundlage: Topographische Karte 1:25.000; © Landesamt für Vermessung und Geoinformation Bayern


Es gibt eine Vielzahl an Schutzmaßnahmen, die sich in ihren jeweiligen Wirkungen unterscheiden. Während die Maßnahmen des natürlichen Rückhalts eher bei kleineren bis mittleren Hochwasserereignissen wirksam sind, kommt der technische Hochwasserschutz bei großen Hochwasserereignissen (bis HQ100) zum Einsatz. Um die Hochwasserschutzanlagen (Deiche, Mauern, etc.) bei einem extremen Hochwasser (> HQ100), dem Überlastfall, zu entlasten, sollen Flutpolder eingesetzt werden. Die einzelnen Maßnahmen sollen in ihrer Gesamtheit ein System bilden, das sich ergänzt und möglichst widerstandsfähig (resilient) ist.

Ziel ist es, die Wasserstände der Hochwasserscheitelwelle flussabwärts des Flutpolders zu senken, so dass die betroffenen Schutzsysteme entlastet werden. Somit kann das Risiko einer Überlastung und ggf. eines vollständigen Versagens der Schutzmaßnahmen reduziert werden. Falls der Flutpolder im Extremfall nicht mehr ausreichen sollte, kann trotzdem noch Zeit gewonnen werden, um beispielsweise Menschen zu evakuieren und mobile Werte in Sicherheit zu bringen. Somit stellen gesteuerte Flutpolder ein wichtiges Element im Schutz gegen extreme Hochwasserereignisse dar.

Auch vor dem Hintergrund des Klimawandels mit einer voraussichtlichen Häufung von Extremereignissen, sind diese großen regional wirkenden Maßnahmen ein wichtiger Bestandteil des Hochwasserschutzes. Grundlage dafür ist das bayerische Flutpolderprogramm.

Was ist ein Flutpolder?

Ein Flutpolder ist ein natürlicher Rückhalteraum, der meistens von einem Deich umgeben ist und in den bei großen Hochwasserereignissen gezielt und kontrolliert Wasser eingeleitet werden kann. Dabei soll der Wasserspiegel im Fluss abgesenkt werden, um Schäden der Hochwasserschutzanlagen (Deiche, Mauern) zu verhindern: Dafür wird das Maximum des Hochwasserereignisses, die sogenannte Hochwasser- oder Abflussspitze, gekappt und in den Rückhalteraum geleitet. So wird ein Teil des Hochwassers vorübergehend zurückgehalten und der Abfluss verzögert.

Bestandteile eines Flutpolders:

  • Einlaufbauwerk: Über dieses Bauwerk wird Wasser aus dem Fluss in den Rückhalteraum eingeleitet
  • Rückhalteraum: Gebiet, in dem das Hochwasser zwischengespeichert wird. Er ist begrenzt durch einen Trenndeich zum Fluss und ggf. zusätzliche Polderdeiche zum Hinterland
  • Entwässerungssystem: Es besteht aus Gräben, Drainagen und Pumpwerken und dient der Regulierung der Grundwassersituation im Hinterland
  • Auslaufbauwerk: Über dieses Bauwerk wir der Flutpolder wieder entleert und das Wasser nach Ablauf des Hochwassers wieder in den Fluss geleitet.
  • Schaubild Bild vergrössernSchaubild: Prinzip und wesentliche Bestandteile

    Wirkung eines gesteuerten Flutpolders

    Ein gesteuerter Flutpolder kann gezielt zum Zeitpunkt der kritischen Hochwasserspitze geflutet werden. Somit wird das Volumen des Rückhalteraums möglichst optimal ausgenutzt.

    Ein gesteuerter Rückhalt wirkt gegenüber anderen Rückhaltemaßen, wie Deichrückverlegung und ungesteuertem Rückhalt, deutlich effektiver, da er die Abflussspitze bei gleichem Rückhaltevolumen wesentlich stärker absenken kann. Aufgrund ihrer hohen Effektivität sind gesteuerte Flutpolder ein wichtiges Element des Hochwassermanagements für extreme Hochwasserereignisse.

    Zudem haben gesteuerte Flutpolder wegen der geringen Flutungshäufigkeit die geringsten Einschränkungen für bestehende land- und forstwirtschaftliche Nutzung. Im Gegensatz zu anderen Maßnahmen wird der Rückhalteraum nur bei extremen Hochwasserereignissen geflutet. Die Flutpolder werden daher nur ca. alle 60 Jahre für wenige Tage eingesetzt werden.

    Wie werden die Flächen für einen Flutpolder ausgewählt?

    In einer Studie wurden von der TU München potentielle Standorte für Rückhalteflächen entlang der gesamten bayrischen Donau identifiziert. Häufig handelt es sich dabei um frühere natürliche Überschwemmungsgebiete, die durch den Bau von Flutpoldern wieder reaktiviert werden.

    Voraussetzungen bei der Auswahl der Standorte waren die Wirksamkeit, die Schutzwirkung auf betroffene Einwohner, sowie die technische Realisierbarkeit. Es müssen außerdem Kriterien wie die Grundwassersituation, der Naturschutz, die Kosten, die Flächennutzung und die Binnenentwässerung untersucht werden, bevor mit der Umsetzung begonnen werden kann. Ziel ist es beim Bau der Flutpolder, Flächen mit einem möglichst geringen Schadenspotential auszuwählen.

    Je näher ein Flutpolder an den zu entlastenden Hochwasserschutzmaßnahmen liegen, desto höher ist seine Wirkung. Daher ist es notwendig, mehrere Flutpolder entlang der Donau in Kombination einzusetzen. Im Amtsgebiet des Wasserwirtschaftsamt Ingolstadt gibt es vier Flutpolderstandorte in Bertoldsheim, Riedensheim, Großmehring und Katzau.

    Wie läuft die Umsetzung ab?

    Bis zum Bau eines Flutpolders müssen mehrere rechtliche und technische Schritte umgesetzt werden, wobei das Verfahren transparent gestaltet wird und der Dialog mit Betroffenen ein fester Bestandteil des Verfahrens ist.

    Erster Schritt ist eine Vorplanung. Dafür werden Voruntersuchungen durchgeführt, um festzustellen, ob der Standort für einen Flutpolder geeignet ist und welche Möglichkeiten es gibt. Dabei werden verschiedene Varianten entwickelt, die sich u.a. im Verlauf der Deiche und in den Standorten der Ein- und Auslassbauwerke unterscheiden (Objektplanung). Bei der Planung werden auch Aspekte des Naturschutzes mit berücksichtigt.

    Zudem wird der Untergrund untersucht, um Rückschlüsse auf die Grundwassersituation ziehen zu können, da sich der Einsatz von Flutpoldern auf die lokalen Grundwasserstände auswirken kann. Daraus wird dann ein numerisches Grundwassermodell erstellt, mit dem die Auswirkungen der verschiedenen Varianten von Flutpolderbauwerken und des Flutpolderbetriebs auf die Grundwasserverhältnisse verglichen werden können.

    Parallel dazu werden die Flächen für potentielle Flutpolder vorläufig gesichert, so dass diese für einen bestimmten Zeitraum von neuer Bebauung freigehalten werden und der Bau nach abgeschlossener Planung möglich ist.

    Anschließend wird das Raumordnungsverfahren (ROV) eingeleitet. Ein ROV ist bei großen Bauvorhaben nötig, die überörtliche Bedeutung und Auswirkungen haben. Hier wird geprüft, ob der Flutpolder mit den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung und der Landesplanung vereinbar ist. Bei diesem Verfahren werden Betroffene (Kommunen, Fachverbände, Behörden) beteiligt. Im ROV werden also verschiedene Varianten für einen Standort untersucht und bewertet. Als Abschuss des Verfahrens erlässt die Raumordnungsbehörde eine landesplanerische Beurteilung, in der die verschiedenen Varianten gewürdigt werden.

    Anschließend wird eine der positiv raumgeordneten Varianten zur weiteren Planung ausgewählt. Es erfolgt die Entwurfsplanung. Dabei werden Einzelheiten, wie der Aufbau und Lage der Bauwerke genauer geplant. Außerdem finden weitere detailliertere Untersuchungen der Auswirkungen u.a. auf Natur, Landschaft und Grundwasser statt.

    Mit diesen Unterlagen wird das Planfeststellungsverfahren (PFV) durchgeführt. Hierbei handelt es sich um das eigentliche Genehmigungsverfahren. Die Pläne werden öffentlich ausgelegt und Betroffene können Einwendungen erheben. Erst wenn ein Planfeststellungsbeschluss vorliegt, kann mit dem Bau begonnen werden.

    Mit dem Bau des Flutpolders kann begonnen werden, wenn die öffentlich –rechtliche Baugenehmigung (Planfeststellungsbeschluss) vorliegt, die Finanzierung gesichert ist und die Grundstücke zum Bau zur Verfügung stehen.

    Für die Baugrundstücke gibt es gemäß §99a Wasserhaushaltsgesetz und Art. 57a Bayerisches Wassergesetz ein Vorkaufsrecht, das das Wasserwirtschaftsamt bei einem Grundstücksverkauf ausüben kann. Außerdem erwirbt das Wasserwirtschaftsamt auf freiwilliger Basis Grundstücke im Polderraum, wenn sie dem Amt zum Kauf angeboten werden.

    Für den Eingriff der Poldergrundstücke bei einer Flutung wurde zwischen dem Freistaat Bayern und dem Bayerischen Bauernverband eine Vereinbarung geschlossen, welche die Entschädigung für die Grundstücksnutzung und Schäden bei einer Flutung regelt.

  • Vereinbarung BBV - PDF
  • Weitergehende Untersuchungen

    Im Rahmen des Flutpolderprogramms werden zahlreiche weitere Untersuchungen im Auftrag des Landesamts für Umwelt (LfU) durchgeführt, bei denen verschiedene Aspekte beleuchtet werden. Untersucht wurden alternative Möglichkeiten zu Flutpoldern (z.B. Deichrückverlegungen, Bau von Rückhaltebecken in den Seitengewässern), die Wirkung der Flutpolder und auch die Wirkung optimierter Staustufensteuerung. Die Ergebnisse können unter folgendem Link abgerufen werden:

    Flutpolder in Bayern - LfU Bayern